galerie januar

Projektbeschreibung:
Vortrieb - das aquatile Denkmal
Rasenmäherzeichnung

In der Woche von Montag, den 10. August bis Samstag, den 15. August 2009 verwirklicht Ralf Witthaus (geb. 1973 in Bad Oeynhausen) im Auftrag der galerie januar ein temporäres Kunstwerk im öffentlichen Raum von Bochum.

Es trägt den Titel: "Vortrieb – das aquatile Denkmal" und ist Bestandteil eines Gemeinschaftprojektes zum „Gahlenschen Kohlenweg“, das aufgrund einer Machbarkeitsstudie zur Ruhr.2010 vom Land NRW und dem Regierungsbezirk Arnsberg ermöglicht ist und mit zusätzlicher Hilfe der beteiligten Kommunen durchgeführt wird. In dem Gemeinschaftsprojekt erinnert die galerie januar zusammen mit vier weiteren Kunstvereinen des Ruhrgebietes (Kunstverein Hattingen, Förderverein Unser Fritz2/3 – Herne, Kunstverein Gelsenkirchen und Virtuell-Visuell – Dorsten) an die erste Süd-Nord-Erschliessung der Region, die bis heute als viel befahrener Verkehrsweg existiert (in Bochum beispielsweise als Kohlenstraße, Gahlensche Straße bzw. Dorstener Straße fortlebt), aber bereits 1766 bis 1769 als befestigter Knüppeldamm angelegt und später erweitert worden ist, um Steinkohle aus dem Ruhrtal im Süden unserer Stadt zur Verschiffung bis nach Gahlen, dem Hafen an der Lippe (bei Dorsten) zu transportieren. 

Das Gemeinschaftsprojekt versucht den weitgehend vergessenen historischen Transportweg wieder ins allgemeine Bewusstsein zu rücken und ihn zugleich – jenseits bloß nostalgischer Empfindungen – zu aktualisieren: Die beteiligten Kunstvereine haben deshalb eigenverantwortlich Künstler eingeladen, für markante Orte entlang des Gahlenschen Kohlenweges orts- und themenbezogene Kunstwerke zu entwerfen, welche eine Verbindung zwischen Historie und Gegenwart stiften und den Wandel des Ruhrgebietes von der Industrialisierung zur Kulturmetropole exemplarisch vergegenwärtigen (mehr zum übergreifenden Konzept und den bereits realisierten Werken unter: www.gahlenscher-kohlenweg.de).

In Sichtweite zum Routenverlauf des Gahlenschen Kohlenweges befinden sich auch die ungefähr 10.000 qm messenden Grünflächen des Wiesentals in Bochum-Weitmar, auf denen Ralf Witthaus sein Kunstwerk zwischen dem Freibad des Schwimmvereins Blau-Weiss und der Friederikastraße realisiert. Und zwar entsteht dort, in jenem Teilbereich des zentrumsnahen und stark frequentierten parkähnlichen Erholungsraum inmitten eines sog. besseren Wohnviertels eine der typischen Rasenmäherzeichnungen, mit denen der Kölner Künstler seit nunmehr dreizehn Jahren im In- und Ausland hervorgetreten ist. Für den Veranstalter waren sie von Interesse, gerade weil Ralf Witthaus als gelernter Zeichner mit ihnen die traditionellen Grenzen der Zeichnung erweitert, indem er sie aus dem Bereich des Privaten, dem das Medium normalerweise zugeordnet wird, in den Außenraum verlegt: Denn statt mit Stiften auf Papier arbeitet Ralf Witthaus eben mit dem Rasenmäher bzw. –trimmer und entfernt mit diesen Werkzeugen gezielt öffentliches Grün bis auf die Grasnarbe. Das Aufsehen erregende und auf den ersten Blick durchaus brutal wirkende Vorgehen des Künstlers ("Der macht ja den Rasen kaputt!") erweist sich letztlich als besonders rücksichtsvoll gegenüber der vorgefundenen Kulturlandschaft, insofern es lediglich vorübergehende Zeich(nung)en im Rasen hinterlässt, welche – je nach Witterung – nur zwei bis vier Wochen sichtbar bleiben und wieder vollständig verschwinden, sobald die abgemähten Abschnitte selbstständig nachgewachsen sind.   

Da eine Rasenmäherzeichnung von Ralf Witthaus, ganz im Gegensatz zur allermeisten Kunst im öffentlichen Raum, diesem nichts hinzufügt, sondern aus ihm zeitweise etwas entfernt, könnte man vielleicht von einem skulpturalen, also wegnehmenden oder auch negativen Verfahren sprechen, wobei es sicher zu den besonderen Vorzügen der Rasenmäherzeichnungen von Ralf Witthaus gehört, dass sie das Verfahren, dem sie sich verdanken, mit zur Erscheinung bringen. Wer immer eine Rasenmäherzeichnung von Ralf Witthaus sieht, ist gezwungen, den Vorgang ihrer  Herstellung mitzusehen. Darin steckt auch das gewissermaßen Einfache, ja Selbstverständliche der Kunst von Ralf Witthaus, dass das Machen im Gemachten stets offensichtlich bleibt und im künstlerischen Resultat aufgehoben enthalten ist, wobei es eine interessante und auch für Ralf Witthaus selbst offene Frage ist, was nun eigentlich vorrangig zählt bei seiner Kunst: das kurzfristige Ergebnis der optimalen Sichtbarkeit seiner Rasenmäherzeichnung oder nicht doch viel eher der Prozess ihres Entstehens und Vergehens. Insbesondere die während der Mähaktion sich ergebenden direkten Reaktionen der Passanten, die erfahrungsgemäß von heller Empörung über erstauntes Fragen bis zu spontanen Hilfsangeboten reichen, sind dem Künstler mindestens ebenso wichtig wie die fertige Werkgestalt. Die Auseinandersetzung mit dem in der Regel kunstfernen Gelegenheitspublikum jenseits schützender Museumsmauern gehört für Ralf Witthaus jedenfalls zum integralen Bestandteil seiner Kunst.

Was (über die allgemeinen Merkmale der Rasenmäherzeichnungen von Ralf Witthaus hinaus) seine Arbeit im Bochumer Wiesental angeht, so verhält sich auch diese keineswegs beliebig zu ihrer Umgebung. Denn auch diese Zeichnung nimmt wichtige Elemente des Ortes auf, an dem sie sich befindet und zielt auf eine Integration von Kunst und Kulturlandschaft, obwohl sie in ihrer auffälligen geometrischen Strenge wie überhaupt in ihrem Minimalismus von vornherein einen deutlichen Gegensatz bildet zu den sanft modellierten Rasenflächen und dem gewundenen Wegesystem der lieblichen Parklandschaft: Die insgesamt zehn Bahnen, die Ralf Witthaus für die ausgedehnten Rasenflächen des Wiesentals zum Mähen vorgesehen hat, sind allesamt geradlinig und beziehen ohne Zweifel einen Teil ihres eigentümlichen Reizes aus der wohldosierten Differenz zu ihrer Umgebung. Gerade aber aus der Aufsicht auf die Rasenmäherzeichnung als Ganze, wie sie sich vor allem aus erhöhter Perspektive von den Rändern des Geländes ergibt, geraten die zehn Bahnen für das Auge in eine übergreifende, fließende Bewegung, die dem vorherrschenden Charakter des Wiesentals wiederum entspricht. 

Wichtig für das Verständnis der zehn Bahnen ist dabei die Tatsache, dass sie sich formal von den dunklen Orientierungslinien am Boden von Schwimmbecken ableiten, wie es diese auch im Freischwimmerbecken des angrenzenden Traditionsvereins „Blau-Weiss Bochum von 1896“ gibt. Die Übernahme dieses Formelementes aus dem Bereich des Wassers wird man keineswegs für ein rein formales Mittel, sondern zugleich auch inhaltlich für bedeutsam halten, denn es verbindet sich erstens mit der heutigen, durch das Wasser bestimmten freizeitlichen bzw. sportlichen Nutzung des Geländes durch den Schwimmverein, der sich seit 1950 an seinem Ort befindet. Und es lässt sich zweitens lesen als Hinweis auf die ältere Geschichte des Wiesentals, welches schon vor 200 Jahren  als besonders fruchtbar galt und durch zwei inzwischen verschwundene Bäche sowie eine Wassermühle geprägt wurde, von der heute lediglich noch der Mühlstein existiert, welcher nahe dem Schwimmbad zur Erinnerung aufgestellt worden ist.

Formal genommen paraphrasieren die Bahnen von Ralf Witthaus die Schwimmbadlinien, indem sie deren wesentliche Merkmale wiederholen und zugleich von ihnen abweichen: Denn ebenso wie jene verlaufen diese absolut geradlinig und besitzen die für Schwimmbadlinien kennzeichnende Verbreiterung an ihrem Anfang und am Ende. Anders aber als im Schwimmbad sind die Bahnen von Ralf Witthaus von unterschiedlicher Länge und verlaufen auch nicht parallel sondern schräg zueinander; überdies überschneiden sie sich – ähnlich wie beim Mikadospiel – zuweilen und greifen stellenweise auch auf das vorgängige Wegesystem des Parks aus. Obwohl die Ausrichtung und Platzierung der Bahnen keiner ablesbaren festen Systematik folgen, wie diese etwa durch ein geometrisches Raster gegeben sein könnte, sind beide doch  vom Künstler intuitiv getroffen mit Blick auf den längsrechteckigen Verlauf des Geländes. Sehr bewusst hat Ralf Witthaus in ihnen, um mit ihm selbst zu sprechen: "die Blickrichtungen, Fließrichtungen, Distanzen des Flanierens in Szene gesetzt".

Die Spaziergänger und Freizeitaktivisten sind durch die ungefähr zwei Meter breiten Bahnen veranlasst, ihre vertrauten Wege – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – kurzzeitig zu verlassen und die neu entstandenen Strecken auszuprobieren. Sie folgen oder ignorieren die von Ralf Witthaus mit seiner gestalterischen Vorgabe eröffneten Möglichkeiten auf individuelle Weise. Kein Zweifel aber, dass sämtliche Benutzer das öffentliche Grün des Wiesentals durch die Rasenmäherzeichnung von Ralf Witthaus bewusster erfahren und im Raum des Parks außer neuen Bewegungs- auch ungewohnte Denkrichtungen einschlagen werden.

Lassen auch Sie sich herzlich dazu einladen und ergreifen die Gelegenheit, dem Künstler schon während seiner Mähaktion „über die Schulter zu schauen“ und darüber zu berichten! Vielleicht erfahren Sie im Gespräch mit ihm dann u.a. auch, was es mit dem Titel seiner Rasenmäherzeichnung auf sich hat.

Herzliche Einladung auch zum Richtfest am Samstag, den 15. August um 17 Uhr!

Einführende Worte: Ulrich Fernkorn            


galerie januar e.V.  |  Eislebener Straße 9 |  44892 Bochum ;Telefon: 0234-3 60 05 78 |  E-Mail:
galerie-januar@gmx.de